Der Mühle- und Sägebach in früheren Zeiten

Unser Bach, „Ual da Runcs“ oder auch „Ual da Promangisch“ genannt wird in Urkunden des 15. und 16. Jahrhunderts erwähnt.[1]

Dass er zur Erzeugung von Wasserkraft diente, ist sicher. Fraglich ist lediglich, wo die ersten Anlagen gestanden haben. Man wird jedoch kaum fehlgehen mit der Annahme, dass die beiden heutigen Gefällstufen seit alters her bestanden und genutzt wurden.

Die Gemeinde Andeer war auf den Rhein angewiesen, um Mühlen, Sägen, Walken etc. zu betreiben bzw. auf seine Nebenarme, welche teils natürliche waren -wie im Oberdorf- oder künstlich angelegt werden mussten. Uns interessiert hier nur der „Ual da Promangisch“ oder „Ual da Runcs“. Es sei jedoch auf meine Veröffentlichung im romanischen Kalender „Per Mintga Gi“ aus dem Jahre 1970 verwiesen: „Da mulegns, resgias ad oters indrezs sper nos uals a flems.“

Der Bach von Runcs wird gegenüber der „Ruegna“ vom Rhein abgeleitet. Ob dies schon in alten Zeiten dort geschah, ist mir nicht bekannt. Im Zusammenhang mit der Kolmatierung der Insel in den sechziger Jahren wurde der Bach bis zu den Bachfallen in Zementröhren verlegt und ebenso der Überlauf durch die Insel.

Die übrige Strecke bis zur Wiedervereinigung mit dem Rhein durchfliesst der Bach offen und ist übrigens der einzige seiner Art weit und breit.

Die untere Gefällstufe.

Diese ist bei der Säge Mani, wo von alters her eine Sägerei bestand. Das dortige Wasserrad übertrug die notwendige Kraft für die Säge und die mechanische Schreinerei. Gemäss vorgefundener Jahreszahl, soll (nach Angabe von Anton Mani Selig) die Anlage im 17. Jahrhundert gebaut worden sein.

Das Wasserrad der Sägerei Mani, Aufnahme ca. 1950.

Die alte Säge dient heute lediglich als Magazin sie wurde durch eine kleinere ersetzt, welche mit elektrischer Kraft betrieben wird, wie auch die Maschinen der Schreinerwerkstätte. Eigentümer waren früher Joos und Fimian. Die heutige Schreinerei wurde hingegen von Leonhard Mani im Jahre 1906 errichtet. Zur Säge gehörte 1/5 Anteil am Bach. (frühere Eigentümer: Amann Joos Mani (nicht verwandt mit den jetzigen Betreibern der Säge) später Esaias Fimian.

Werkstatt und Säge Mani vor dem Brand

Mulegn Catregna

Bachaufwärts in nächster Nähe stand früher eine Kundenmühle mit Wohnhaus. An die schadhaften Gemäuer dieses Gebäudes kann ich mich gut erinnern. Die Mauern wurden schliesslich abgerissen. Von den dort gelagerten zwei Mühlsteinen habe ich mir einen angeeignet und spalten lassen. Die eine Hälfte fand als Brunnenstock in Rania Verwendung und die untere wurde in die Gartenmauer beim heutigen Brettermagazin eingemauert mit der Inschrift:

Mulegn

1838 -1841

Die einstigen Eigentümer dieser Mühle hiessen Catrina, Bürger von Andeer. Sie galten als wohlhabend. Der letzte Spross -Christian Catrina- wurde von seiner Mutter schon als Kind verwöhnt und führte später ein aufwendiges Leben und verarmte vollständig. Er wurde armengenössig und sein Grundbesitz bestehend aus dem erwähnten Gebäude, einem Fünftel Anteil am Bache sowie der angrenzenden Wiese „Pro Mulegn“ gingen auf die Gemeinde über.

Es sei noch ergänzt, dass daselbst auch eine Kartätscherei [diente zur Vorbereitung der Schafwolle für das Spinnen] und eine Gerstenstampfe eingebaut waren. 1856 vermietete die Gemeinde die Mühle Catrina an einen Müller namens Goethe.

In geringer Entfernung des eben beschriebenen Objektes in südlicher Richtung wurde in den 1860er Jahren eine Silberschmelze erbaut. Sie gehörte der englischen Firma „Sassam Mining Co.“ Der Ofen soll aber nie richtig funktioniert haben und es wurde ein neuer Ofen anderswo erstellt.

Der Mühlebach weist an dieser Örtlichkeit geringes Gefälle auf. Der natürliche Lauf desselben (oder eines kleinen Nebenarms) genügte wohl, um das Wasserrad für den Betrieb eines Blasebalges zu bewegen.

Silberschmelze und Säge Mani ca 1920.

Während vieler Jahre diente diese frühere Silberschmelze der Gemeinde als Brettermagazin. Unverständlicherweise wurde das Gebäude Mitte der 1920er Jahre dem Erdboden gleichgemacht, sodass heute nur noch einige klägliche Überreste der Grundmauern sichtbar sind.

Auf uns Knaben übten die dortigen Ruinen eine grosse Anziehungskraft aus. Vor allem war es der Rauchabzug oder Belüftungsschacht des Schmelzofens, welcher als gut ausgemauerter, dunkler, unterirdischer Gang gerne durchkrochen wurde.

Über den Eingang des Gebäudes sollen kreuzweise zwei Bergwerkshammer und die Inschrift «Glückauf zur Schmelzhütte» gemalt gewesen sein.

Zu diesem englischen Unternehmen gehörte noch ein weiteres Gebäude auf der anderen Seite des Baches gegenüber der Mühle Catrina. Überreste sind noch zu sehen. Es war das Verwaltungsgebäude wo auch Büros untergebracht waren. Das Gebäude ist im Jahre 1868 infolge eines Brandes stark beschädigt worden.

Auf der gleichen Höhe wie die Schmelzhütte, auf der rechten Seite des Baches, stand dereinst eine kleine Walke. Diese gehörte dem Färber Friedrich Binder, einem aus Deutschland stammenden Färbermeister. Ein Seitenlauf des Baches drehte, ein kleines Wasserrad für die Walke. Am rechten Pfeiler der steinernen Brücke ist noch der Durchlass für diesen kleinen Seitenbach feststellbar. Der Lärm, welcher die Walke verursachte, wirkte für die Bewohner der Mühle störend. Hoesslis (die damaligen Besitzer der Mühle) erwarben deshalb die Walke, welche dann nach Clugin versetzt wurde, wo sie heute noch als kleiner Stall links am Dorfeingang von Andeer kommend am alten Weg zu sehen ist. Der 1/5 Anteil des Baches, der zu dieser Walke gehörte, ging ebenfalls mit dem Kauf der Walke auf die Hoesslis über.

Was die jetzige Garage der Mühle anbetrifft, war diese einstmals eine Färberei und gehörte Nicolaus Pitschen, der 1751 beim Führen von Bergheu tödlich verunglückte. Ob die Färberei nachher noch weiter betrieben wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.

Die obere Gefällstufe.

In einer Entfernung von vielleicht 12O m bachaufwärts ist die obere Gefällstufe. Dort steht der Gebäudekomplex Mulegn, welches eingehender beschrieben werden soll. Von einer Mühle Hoessli ist bereits im Jahre 1764 die Rede. Daselbst hatten auch damals, oder vielleicht etwas später, Walke, Säge sowie eine Teigwarenfabrik ihren Standort. Darüber mehr unten.

Bartola Mani Haus

Es ist keineswegs erwiesen ob die ersten Hoessli (wie meine Eltern annahmen) im kleinen Holzhaus am Hang hinter der Mühle gehaust haben. Dieses heute ziemlich schiefe und verlotterte Haus wies unter der letzten Verschalung eine Jahreszahl und Initialen auf, an die ich mich aber nicht mehr genau erinnern kann. Das Gebäude dürfte auf jeden Fall einige hundert Jahre alt sein. Ob die Hoesslis dann später die alte Mühle erbauten oder diese erwarben, konnte ich nicht mehr ermitteln. Das alte Holzhaus gehörte zuletzt Bartolome Mani. Frühere Eigentümer waren Kleis, Schocher, A. Conrad und Schamun Grischott, letzterer war der Schwiegervater von Bartolome Mani. Das Haus wurde im Herbst 1974 durch Richard Mani abgerissen.

Doch zunächst ein weiteres Stück dem Bachlauf nach. Auf einer winzigen Landparzelle am Bach bei der kleinen Brücke war dereinst für kurze Zeit eine Walke. Das Wasser hatte allerdings nicht genügend Kraft um die Walke zu bedienen.[2]

In unmittelbarer Nähe am Wege nach Runcs war früher eine kleine Bierbrauerei, welche der Familie Pitschen gehörte. Auf die Wasserkraftnutzung war dieses Unternehmen nicht angewiesen, wohl aber auf das damals reichlich fliessende und gesunde Wasser der „Cutschalera“. Die Brauerei nebst Umschwung wurde vor gut hundert Jahren von einer katholischen Vereinigung bzw. Stiftung käuflich erworben. Dort entstand dann die kath. Kirche nebst Pfarrhaus. Auch der kath. Friedhof wurde dort angelegt. Heute ist nur noch der Friedhof im Eigentum der kath. Kirchgemeinde. Kirche und Pfarrhaus wurden -nachdem im Jahre 1963 im Dorfe Neubauten entstanden- an Oswald Gasparini verkauft. Dieser liess vor etlichen Jahren den kleinen Kirchturm abtragen.

Igl Furn, Eisenschmelzofen in Runcs Sut. (Familie Rosales)

Das letzte Unternehmen in Runcs ist die sogenannte Schmelze oder „Igl Furn. „Vor ungefähr 130 Jahren wurde dieses stattliche Landhaus in «Unterruncs» durch die italienische Bergwerksgesellschaft „Del Negri“ von Grund auf neu erbaut. Darin untergebracht wurden der Eisenschmelzofen, der noch heute zu sehen ist, sowie Wohn- und Büroräume. Auch Stallungen fehlten nicht. Einer der führenden Männer- der italienische Graf de Rosales bekam dann später als Entschädigung die Liegenschaft in Runcs und seinen Nachkommen gehört noch heute dieser Landsitz.

Das Unternehmen als solches war unrentabel. Die Erzeugung von Eisen darf hingegen für damalige bündnerische Verhältnisse als sehr beträchtlich bezeichnet werden.

Die Eisenschmelze im Haus Rosales

Für die mechanische Bedienung der grossen Blasebalge, war man auf Wasserkraft angewiesen. Vom heutigen Steinbruch Conrad AG bis zur Schmelze wurde ein künstlicher Kanal angelegt. Der Spiegel des Rheins war jedoch zu tief, und auf Anraten von Philipp Hoessli, wurde diesem Übelstand dadurch abgeholfen, dass grosse Felspartien abgesprengt wurden und dadurch der Rhein gestaut und sein Niveau genügend erhöht werden konnte. Der gut ausgepflasterte Kanal blieb bis zur Sandgewinnung in Runcs in den Jahren 1958 u. f. erhalten.

Einige Schlussbetrachtungen.

Obschon nicht alle mit Wasserkraft arbeitenden Anlagen am Bache „Runcs“ zur gleichen Zeit betrieben wurden und einige davon von kurzer Daseinsdauer waren, ist es doch erstaunlich, dass ein künstlich angelegter Wasserlauf genügend Energie erzeugen konnte, um verschiedenen Zwecken zu dienen. Es ist allerdings zu ergänzen, dass der Kanal höher und breiter war, als was er heute ist. Es konnte eine grosse Wassermenge durchgeschleust werden, die ausserdem rasch dahinfloss, weil Seitenwände und Boden des Kanals mit Brettern ausgekleidet, waren. Ein weiterer Vorteil des Mühlebaches war der, dass er im Winter weniger anfällig gegen Vereisung war, als der rechtsufrige Bach. In Runcs und in der Mühle flossen früher mehrere Quellen in den Bach, die wärmeres Wasser führten als der Rhein, was sich auf die Gesamttemperatur des Bachs günstig auswirkte. Trotzdem gab das Enteisen der Bachfassung und der Räder etc. viel Arbeit.

Sämtliche Wasserräder, die am Bache Runes standen, waren unterschlächtig und die meisten davon genauer gesagt mittelschlächtig, d.h. die Eintrittsstelle des Wassers war in der Radmitte, sodass ausser der Stosskraft auch die Gewichtswirkung des Wassers ausgenutzt wurde.[3]

Wenn in früheren Zeiten infolge Hochwasser Beschädigung an den Kanalanlagen entstanden, wurden die Schäden meist im Gemeinwerk behoben.

Von der heutigen, gewaltigen elektrischen Energieerzeugung, und was alles damit im Zusammenhang steht, erwartete man im Schams einen grossen Aufschwung. Man hoffte, neue Betriebe würden entstehen. Diese Erwartungen erfüllten sich jedoch keineswegs. Wohl wurde die finanzielle Lage der meisten Gemeinden im Tale weitgehend saniert. Der Bevölkerungsschwund liess sich aber nicht aufhalten.

  1. Vergl. Schamserbuch S. 65 „Lehensbrief vom Jahre 1419 -item air Manguesch, lit zwüschen beiden Wassern.“ Diese Ortsbezeichnung ist noch heute üblich und bezeichnet das Wiesengelände zwischen Mühlebach und Insel bis zu den Bachfallen. Im Westen wird das Gebiet durch den Feldweg nach Runcs begrenzt.

    Vergl. auch Rätisches Namenbuch S. 576 Mengossus Urkunde 1219, Dominicus Mengossus de Andairo Promangisch, Urkunde 1419, air mangusch, Maria Magusch, Maria Mungatsch, 1548 Maria Mugusch ‚ Andeer.

  2. Die Parzelle, auf welcher die Walke stand, gehörte Jakob Manzoni, welcher sie seiner Tochter Julia Conrad-Manzoni vermachte. Letztere schenkte sie dann der kath. Kirchgemeinde. Die Parzelle war wohl die kleinste Wiese in Schams.

  3. Vergleiche Zeitschrift «Rätia» vom Juni 1940 „Einige Betrachtungen über Bergbau“ von Ivan Ragaz.