Das Unternehmen der Familie Hoessli

Anfang und Entwicklung

Wie bereits erwähnt wurde, war die Familie Hoessli (schreibt sich auch Hoessly) Eigentümerin der Mühle und der Nebengebäude. Ein Zweig dieser aus Splügen stammenden Familie liess sich in Andeer nieder. Als erster nahm voraussichtlich Andris Hoessli in Andeer Wohnsitz. Er wurde 1717, wohl in Splügen geboren, und starb 1779 in Andeer. Er war verheiratet mit Elisabeth Conrad, einer Base des bekannten Pfarrers Mattli Conrad von Andeer. Andris Hoessli wurde 1743 in Andeer ins Bürgerrecht aufgenommen. Er kann somit als der eigentliche Begründer des Unternehmens angesehen werden.

Aus seiner Ehe entsprangen drei Kinder, wovon nur Conradin, geb. 29. Sept. 1753 u. gest. am 12. März 1809, Kinder hinterliess. Dieser Conradin heiratete eine gewisse Maria Giovanni aus dem Avers. Von seinen sieben Kindern ist für uns nur Michael von Interesse, der mit Margreth Janjöri von Pazen verehelicht war. Dieser Connradin Hoessli war bekanntlich der Begründer der Teigwarenfabrik.

Michael Hoesslis Kinder waren:
Mstr. Conradin Hoessli (nach USA Ausgewandert),
Christian Hoessli (ledig gestorben),
Maria Hoessli,
Philipp Hoessli.

Letztgenannter war der führende Kopf. Sein Geburtsdatum war am 2. März 1812 und sein Todestag am 9. Oktober 1877. Er starb an den Folgen eines Schenkelbruches. Ein kurzer Nachruf im „Freien Rätier“ lautet: „Am 9. Oktober erlag Hr. Alt-Kreispräsident Philipp Hoessli in seiner Heimatgemeinde Andeer einer kurzen aber tödlichen Krankheit. Der Verstorbene erreichte das 65. Lebensjahr und war ein kräftiger und gewandter Mann. Er ruhe in Frieden.“

Seine Ehefrau war Menga Saxer aus Splügen.[1]

Ihre Nachkommen waren:

Michael, geb. 22. Febr. 1838 und zwar noch in der alten Mühle. Im gleichen Jahre wurde mit dem Bau der neuen Mühle begonnen. Der bekannte Kunstmaler Philipp Hoessli von Schaffhausen war ein Sohn von Michael Hoessli.[2]

Maria geb. 1839 war mit einem Dr. Heinrich Coray verheiratet gewesen, der seine Frau mit 6 Kindern sitzen liess, und mit einer jüngeren Dame nach Amerika verschwand. Maria war eine gütige und geachtete Person, an die ich mich noch gut erinnere.

Margreth (Deti) geb. 1840 bewohnte viele Jahre ganz allein die Mühle. Sie starb mit 84 Jahren und wurde in Andeer beerdigt. Die letzten Jahre hat sie im Altersheim Realta verbracht.

Christian Oberst Hoessli-Imthurm[3], wohnte wie sein Bruder nach dem Wegzug von Andeer in Schaffhausen. Seine Nachkommen waren Dr. Manfred Hoessli, Ing. Bernhard Hoessli, Theodor Hoessli und Meta Hoessli. (Siehe auch den Stammbaum der Familie Hoessli weiter unten)

Über die ersten Zeiten, als sich Hoesslis in Andeer niederliessen, ist wenig bekannt. Andris Hoessli soll ein sehr fleissiger und sparsamer Mann gewesen sein. Er soll allerdings oft Kleider getragen haben, die mit Emballage (Sacktuch) geflickt waren. Auch mit der Sonntagsruhe soll er es nicht so genau genommen haben und hin und wieder nahm er Säge und Mühle auch an Feiertagen in Betrieb. Auch wurde ihm nachgesagt, dass er oft von den Bauern gefreveltes Holz gekauft, oder für diese verarbeitet habe. Nach dem Volksmunde sollte Andris herumgeistern, weil er die Sonntagsruhe missachtete. Jedenfalls haben wir in den letzten 60 Jahren in der Mühle keinen Nachtgeist wahrgenommen.

Unter den noch vorhandenen Mühlsteinen, die aus der alten Mühle hinter dem grossen Gebäude stammen, befindet sich ein solcher mit der Inschrift 1741 M – C.

In jenem Jahre dürfte möglicherweise die alte Mühle erbaut worden sein. Die Buchstaben M – C die wohl auf den Vor- und Familiennamen des damaligen Müllers hinweisen, sind nicht leicht zu deuten. (Familiennamen mit dem Anfangsbuchstaben C waren in Andeer: Cantieni, Catrina, Cloetta, Clopath, Camartin, Cajöri und Conrad)

Fest steht, dass Andris Hoessli sich mit einer Elisabeth Conrad verehelichte. Möglicherweise wäre die alte Mühle auf die Familie Conrad zurückzuführen, wobei ja der Name Mattli = Matheus in dieser Familie oft vorkommt. Der Name des Müllers wäre dann wohl Matheus Conrad M – C. gewesen, obwohl dahingestellt bleiben mag, ob die Mühle als solche schon längere Zeit vorher bestand.

Andris Hoessli ehelichte Elisabeth Conrad am 3. Juli 1740 Er war im Jahre 1717 geboten und verstarb 1779.

Wie früher, kurz erwähnt, erfuhr das Unternehmen bereits unter Conradin Hoessli, einem Sohne von Andris eine Erweiterung. Im „Neuen Sammler“ aus dem Jahre 1808 steht zu lesen: „Eine Fabrik von Makkaronen und Fidelen, die Herr Conradin Hoessli in Andeer hält, hat starken Absatz und verkauft die Krine um 28 – 30 Kreuzer. Sehr gutes Weissbrot wird in Andeer verfertigt. (Beschreibung des Schamsertales von Pfr. Mattli Conrad)

Diese kleine Teigwarenfabrik war wohl im alten Mühlgebäude untergebracht, das zwei Mühlgänge aufwies.

Philipp Hoessli

Dieser wurde zum eigentlichen Vater und Förderer des Unternehmens. Sein Fleiss und Weitblick verbunden mit Rücksichtslosigkeit und einer grossen Erbschaft waren die besten Voraussetzungen, um seine Vorhaben verwirklichen zu können. Er begann im Jahre 1838 mit dem Bau der Mühle und dehnte seine Tätigkeit auf weitere Erwerbszweige aus. Auch der Politik blieb er nicht fern und stieg bis zum Kreispräsidenten auf. (1859 – 61)

Philipp war keineswegs eine Idealgestalt und behaftet mit den Fehlern seiner Zeit, d.h. der liberalen Ära. Wohl war er im Allgemeinen angesehen und sicher ein tüchtiger Geschäftsmann, verschaffte sich aber im Laufe der Jahre viele Neider und Feinde. Er verwickelte sich in allzu viele Streitigkeiten und Gerichtsverfahren.

Als junger Mann war er Hilfslehrer in Andeer gewesen und unterstand in dieser Eigenschaft dem Pfarrer J. Lutta sen. Später wurde er als Lehrer angestellt und erteilte in der Hauptsache Unterricht in romanischer Sprache. Er und sein Bruder waren die Mitbegründer des ersten Gesangsvereins im Dorfe.

Philipp heiratete 1837 eine um 8 Jahre ältere Tochter aus Splügen namens Menga Saxer, welche als Kind verwaist war. Sie war von Haus aus mittellos hatte aber das Glück gehabt vom reichen Junker de Schorsch in Splügen aufgenommen zu werden. Damit hatte es folgende Bewandtnis: Dieser Junker hatte mit seiner Haushälterin intime Beziehungen gepflegt, welche zwar ohne Folgen blieben. Die schlaue Haushälterin behauptete aber das Gegenteil, worauf sie der Junker heiratete. Die Ehe blieb kinderlos, weshalb dann Menga Saxer an Kindesstatt angenommen wurde. Sie behielt zwar ihren angestammten Familiennamen, konnte aber den Junker beerben. Die Hinterlassenschaft war sehr gross, an die 80’000 Gulden nebst Fahrnis- und Grundbesitz. (Nach heutigem Geldwert wohl weit über eine Million Franken!) Diese Erbschaft ermöglichte Philipp im Jahre 1838 mit dem Bau der Mühle zu beginnen.

Über die Person von Menga Saxer ist nicht viel überliefert. Sie war eine eher kleinwüchsige Frau und im Dorfe wohl geachtet. Man nannte sie allgemein „dunna Mengia“.

Das Unternehmen Hoessli wurde noch weiterhin unter der Bezeichnung „Gebrüder Hoessli“ geführt, obwohl es praktisch nur Philipp Hoessli allein gehörte.

Der Bau der Mühle d.h. des Südflügels scheint zügig vorangegangen zu sein. Nach dessen Fertigstellung wurden der Mittel- und Nordtrakt hinzugefügt, sodass im Jahre 1841 der ganze Bau fix und fertig da stand. Wirklich eine beachtliche Leistung. Die soliden Mauern weisen eine Stäke von bis zu 70 cm auf, Gebälk und Tramen aller Art, sind auffallend stark gewählt und werden wohl für Jahrhunderte ihren Dienst verrichten.

Anlässlich der Bauarbeiten ereignete sich ein tödlicher Unfall. Im Kirchenbuch steht zu lesen: „27. Juli 1841, nachmittags 1 Uhr, fiel vom neuen Gebäude der Gebrüder Hoessli, Jakob Lehner in der Mühle mit dem Gerüste und wurde erschlagen.“ (Lehner war in Andeer wohnhaft) Alter 31 Jahre und 6 Monate.

Die einzelnen Gebäudeteile hatten besondere Aufgaben zu erfüllen. Der Südflügel, der zuerst gebaut worden war, beherbergte die Mühleeinrichtung und die Teigwarenfabrikation. Später wurden dort auch Kerzen verfertigt. Auch die Familie selbst wohnte im Südflügel.

Drei Mühlgänge waren in der Südwestecke aufgestellt und zwar im heutigen Gartenzimmer (auch Web Stube genannt) und dem darunter liegenden Kellerraum. Diese beiden Lokalitäten bildeten einen einzigen, hohen Raum, da sie damals noch nicht durch einen Boden horizontal voneinander getrennt waren wie heute.

Die Fabrikation von Teigwaren war im heutigen Esszimmer untergebracht. Dieser Raum war aber bedeutend grösser und umfasste gegen Norden auch noch die jetzige Küche und den kleinen Vorraum und gegen Süden das Kleiderzimmer und das Badezimmer. Beim Ankauf der Mühle im Jahre 1911 durch meinen Vater Ivan Ragaz waren die Einrichtungen der Mühle und der Teigwarenfabrik noch gut erhalten. Im Esszimmer standen eine Schienenanlage und ein grosses eisernes Schwungrad.

Der Nordflügel diente Philipp Hoessli zunächst wohl nur als Heu- und Viehstall, denn das Unternehmen Hoessli umfasste auch einen Landwirtschaftsbetrieb. Im grossen Stall wurden Pferde untergebracht. Hoessli hatte als Pferdeposthalter 30 Pferde in Andeer und ebenso viele in Splügen. Als die Stallungen in der Mühle nicht mehr genügten, erwarb Philipp Hoessli von den Erben des Pfarrers Mattli Conrad das „rote Haus“ samt Quadra. Dort erbaute Philipp im Jahre 1865 den grössten Stall im Dorfe. Unbegreiflicherweise wurde dieser imposante Bau hundert Jahre später (1965) von einem seiner Enkel, Dr. Manfred Hoessli, abgerissen.

Das Müllereiunternehmen Hoessli war seit 1838 keine landläufige, Bauern oder Kundenmühle, sondern eine Handelsmühle, welche die letzten Errungenschaften der Mahltechnik nutzte. Die Kornernten von Andeer und Umgebung hätten nicht ausgereicht, um genügend Mahlgut zu liefern. Es wurde viel Getreide importiert.

Die alte Säge

Zeitweise mögen allerdings der Holzhandel und die Sägerei mehr eingebracht haben, als die Mühle. Ausser der fest eingebauten Säge in der Mühle besass Philipp Hoessli auch einige transportable, die je nach Bedürfnis eingesetzt werden konnten. Vier solcher soll er einmal in „Sogn Martin“ zwischen Inner- und Ausserferrera in Betrieb genommen haben.

Die Säge in der Mühle hatte die Zufahrt vom alten Weg nach «Runcs sura». Das Holz wurde also auf dem noch heute vorhandenen aber beinahe eingewachsenen Weg hinter dem ehemaligen Haus von B. Mani herbeigeführt und den Hang hinuntergerollt. Mit Hilfe von Seil und Winde gelangten die einzelnen Stämme dann auf die Sage selbst.

Hoessli hatte am Bach zunächst 2/5 Anteil und nachher 3/5. Durch den Ankauf der Walke F. Binder hatte er nämlich 1/5 dazu erhalten. Ursprünglich gehörten 1/5 zur alten und 1/5 zur grossen Mühle. (Im Jahre 1985 habe ich auf unsere Wasserrechte verzichtet.)

Es braucht kaum besonders hervorgehoben zu werden, dass durch das Unternehmen Hoessli viele Arbeitsplätze geschaffen wurden, welche in der Hauptsache durch Andeerer besetzt werden konnten.[4]

Die englische Familie Rickard in der Mühle

Die englische Familie Rickard bewohnte die Mühle von ca. 1864 – 1870. Geschäftsleiter der „Mining Sassam Co“, die in den 1860er Jahren ihre Tätigkeit in Schams aufnahm war Thomas Rickard, ein Engländer, aus Illogan, Cornwall. Seine Ehefrau war die Engländerin Oktavia Forbes.

Oktavia Forbes, Frau des Thomas Rickard aus England

Die Eigentümer der genannten Firma waren jedoch die Taylor. Diese Familie besass in verschiedenen Erdteilen Bergwerksunternehmungen. Auch die Rickards gehörten zu dieser Gilde von Bergleuten. Grossvater Leonhard Ragaz war bei der Schamser Firma als Buchhalter und anschliessend als Liquidator angestellt.

Anschliessend bekam er dann sogar eine Anstellung in Russland. Diese Beziehungen zu den Rickards sollten auch für unsern Vater von grossem Vorteil sein.

Da -wie in den vorangegangenen Seiten ausgeführt wurde – sowohl der Schmelzofen wie auch Büroräumlichkeiten südlich der Mühle erbaut worden waren, liegt es wohl auf der Hand, dass der leerstehende Wohnraum im Nordflügel gemietet wurde. Als Mieter zogen dann die Rickards ein, also das Ehepaar und mehrere Kinder sowie der Schwiegervater Forbes.

Die Taylors ihrerseits Bewohnten das Haus Mazolt-Andrea (Dorfmitte). Die Engländer kannten eine von der unsrigen abweichenden Wohnkultur und wollten diese auch hier verwirklichen. Die Räumlichkeiten wurden hoch und gross angelegt, so dass sie kaum zu beheizen waren. Das Haus Andrea ist ein Simonett Haus.

Was die Mühle anbetrifft, ist anzunehmen, dass erst durch die Vermietung an die Rickards ein Ausbau stattfand. Dabei ist bezeichnend, dass die Rickards keine Öfen im herkömmlichen Sinne wollten, sondern sich offene Kamine oder sog. Cheminées einbauen liessen, welche noch heute vorhanden sind. Mit dieser Art Feuerung waren die Räume allerdings nicht warm zu kriegen und der alte Forbes verbrachte seine Tage am Scheitstock. Die Engländer hatten auch einige andere Eigenheiten, sie waren aber im Allgemeinen beliebt und geachtet.[5]

In Mexiko stiessen wir ganz per Zufall auf einen interessanten Nachruf und zwar in der „Denver Post“ betitelt: «Death Ends Long Mining Career», der Tod beendete die lange Karriere eines Bergmannes. Es handelte sich um Forbes Rickard, gestorben mit 70 Jahren und geboren zu Andeer am 16. Juli 1866. Des Weiteren enthält der genannte Nekrolog noch einige interessante Hinweise: Sein Vater (also Thomas Rickard) führte die Silberminen in der Schweiz und sein Grossvater war James Rickard, welcher als erster qualifizierter Bergbauingenieur nach Kalifornien gesandt wurde und dies um das Jahr 1850. Ein Sohn des oben erwähnten Forbes Rickard namens Thomas war zur Zeit des Todes seines Vaters prominenter Bergbauingenieur in Victoria, Britisch-Columbia. Mr. Rickard war ein Vetter von Edgar Rickard von New York, welcher ein prominenter Teilhaber der „Mining associate“ des späteren Präsidenten der USA Herbert Hoover war.

Die relativ grossen Aufwendungen in Schams auf dem Gebiet der Erzausbeute waren verloren. Statt Gewinn waren grosse Verluste zu verbuchen und das Unternehmen schloss nach wenigen Jahren seine Pforten. Es war dies ohnehin der letzte grosse Versuch gewesen, Silber und Blei im Schams zu gewinnen.

Das Ende des Geschäftes Hoessli

Wann dieses Unternehmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte, ist kaum feststellbar. Die Stilllegung des Geschäftes ist wohl teilweise auf persönliches Versagen zurückzuführen und teilweise mögen auch die veränderten Wirtschafts- und Verkehrsverhältnisse beigetragen haben. Wir denken an die Eröffnung der Brenner- und Gotthardbahn. Inwiefern Philipp Hoessli selbst zum Niedergang seines Lebenswerkes beigetragen hat, ist nicht leicht zu beurteilen. Die vielen Prozesse und Auseinandersetzungen, in die er sich verwickelte, mögen an seinem Vermögen, an seinem Ansehen und auch an seinen physischen und geistigen Kräften gezehrt haben.

Auch zur damaligen Zeit hatte jeder Geschäftsmann zu kämpfen, wenn er sich behaupten wollte. Beispielsweise brachte auch seine Eigenschaft als Postpferdehalter nicht lauter Freuden.

In einem Briefe vom 2. November 1855 an die Postdirektion in Chur beschwert sich Philipp Hoessli, dass die Fahrtzeit von Splügen nach Andeer ungebührlich verkürzt worden sei, was den Pferden nicht zuträglich sei. Man solle die Fahrzeit wieder wie früher auf eine Stunde und zwanzig Minuten verlängern. Das Gesuch wird damit begründet, dass die Strasse im Herbst und im Frühling in schlechtem Zustande sei. Sie werde schlecht unterhalten, im Gegensatz zu derjenigen nach Thusis. Ihm seien der schlechten Wegverhältnisse wegen, drei köstliche Pferde zu Grunde gegangen. Andere seien für längere Zeit dienstuntauglich geworden. Um die vorgeschriebene Zeit einzuhalten, müsse von Splügen bis zum Stutz «Parsagna» (eigentlich Sogn Stiefen) also während einer vollen Stunde in äusserst scharfem Trabe gefahren werden. (Die Stellungnahme der Post ist mir nicht bekannt.) [6]

Polemiken und Prozesse hatte sodann Philipp Hoessli mit Leutnant Jakob Fravi und Ammann Christ Joos. Im Jahre 1835 hatten sich diese drei zu einer Gesellschaft, zwecks Teigwarenfabrikation und um Kornhandel zu betreiben, verbunden. Die Bindung war auf 12 Jahre festgesetzt gewesen. Daraus entstanden allerdings verschiedene Streitigkeiten, die erst im Jahre 1860 zu Gunsten von Philipp Hoessli entschieden wurden.

Alsdann gab es auch Prozesse mit den Verwandten in Splügen wegen dortigen Grundeigentums etc. Polemiken und gerichtliche Verfahren entstanden auch zwischen den Erben von Pfarrer Mattli Conrad und Philipp Hoessli. Frederica Conrad in Chur warf dem allmächtigen Philipp Hoessli nicht gerade einwandfreie Machenschaften vor und wie er sich des roten Hauses und der Quadra bemächtigt habe. Auch Grossvater Leonhard Ragaz wurde von der genannten Frederika Conrad angegriffen, weil er angeblich eine Unterschrift eines bereits verstorbenen beglaubigte.

Ein im ganzen Kanton und darüber hinaus Aufsehen erregender Prozess war schliesslich derjenige zwischen Philipp Hoessli bzw. seinen Erben und Gallus Fravi bzw. dessen Erben. Da die Streitsache von den Gerichten -Bezirksgericht Hinterrhein- in einer unglaublichen Art und Weise vertrödelt wurde, offenbar, um dem Bezirksgerichtspräsidenten Gallus Fravi zu helfen, sah sich Oberst Christian Hoessli veranlasst die faulen Machenschaften in der Presse breitzuschlagen. Es entstand eine lange aber äusserst interessante Polemik, die ich abgeschrieben habe. Ich verweise auf die diesbezügliche Abschrift bei den Akten. Der Gerichtsentscheid des Kantonsgerichtes gab Hoessli in allen Teilen Recht.

Als die Geschäftslage der Firma Hoessli prekär wurde, gab es manche, die sich daran noch irgendwie bereichern wollten. So soll Florian Cajöri eine Forderung von sFr. 70’000 geltend gemacht haben. Seine Angehörigen sprachen sogar davon, bald in die Mühle zu ziehen, um dort zu wohnen. Cajöri musste aber grosse Abstriche seiner Forderung machen und sodann legten die Erben Hoessli namhafte Gegenforderungen vor. Ein Restsaldo von sFr. 4000 zu Gunsten von Florian Cajöri wurde von Christian Hoessli in bar beglichen.

Auch der damalige Gemeindevorstand glaubte sich verpflichtet, in die Geschäftsbücher der Familie Hoessli Einsicht zu nehmen.[7] Dies geschah in der oberen Stube im Südflügel. Es wurde dazu eifrig geraucht und debattiert. Die Herren verursachten durch ihre grosse Unvorsichtigkeit einen Brandausbruch, der frühzeitig entdeckt und gelöscht werden konnte. Die an der Ecke beim jetzigen Ofen stark versengte Täfelung, musste beim Umbau umgedreht werden, sodass die verkohlten Teile nicht mehr sichtbar sind waren.

Stilllegung des Unternehmens

Diese erfolgte im Jahre 1887. Die junge Generation, also die Töchter und Söhne von Philipp Hoessli, waren mehr an ein flottes, sorgenfreies Leben gewöhnt als an Arbeit und Entbehrungen. Auch gewisse, fragwürdige Methoden von Philipp Hoessli, konnten längerfristig sein Geschäft nicht über Wasser halten. Hier ein Beispiel wie es mir erzählt wurde: Philipp Hoessli hatte von der Gemeinde Ausserferrera mündlich die Zusicherung erhalten, einen Holzschlag auf ihrem Gebiete ausführen zu dürfen. Ein schriftlicher Vertrag sollte das Vereinbarte näher festlegen. Philipp nun liess am fraglichen Abend vor der Vertragsunterzeichnung in Ferrera aufspielen und Schnaps ausschenken. Den Vertrag hatte er absichtlich auf Deutsch abgefasst, in der Annahme, dass die betrunkenen Bürger von Ausserferrera, den abgeänderten Inhalt kaum wahrnehmen würden. Er hatte nämlich die Klausel aufgesetzt, dass der Wald samt Grund und Boden ihm verkauft würde. Einer der Anwesenden war jedoch der deutschen Sprache mächtig genug und erkannte den Betrug. Zur Unterzeichnung des Vertrages kam es dann freilich nicht.

In der grossen Mühle, wohnten noch eine gewisse Zeit die Nachkommen von Philipp. Die beiden Söhne Michael und Christian hatten mit Gastereien und Wetten viel Geld vertan und auch manches Pferd zu Grund geritten.[8] Namhafte Anstrengungen, um das Geschäft zu erhalten, haben wohl keine der vier Nachkommen unternommen.

Michel und Christian liessen sich in Schaffhausen nieder. In der Mühle in Andeer wurde es immer ruhiger und einsamer. In der kleinen Mühle wohnte eine Zeitlang die Familie Goethi aus dem Toggenburg, die sich dann in Clugin niederliess (Haus Kräutler)

In der eigentlichen Mühle war noch eine Zeitlang Maria Hoessli mit Familie und ihre Schwester Margreth (Deti) Hoessli, jede aber für sich allein. Letztere hatte einen derart unverträglichen Charakter, dass niemand lange neben ihr aushielt. Schliesslich war sie während Jahren dann die einzige Bewohnerin der Mühle.[9]

Die Mühle als Hotel oder Pension.

Werbebroschüre für den Luftkurort Andeer. Die Mühle auf der linken Seite des Rheins wird hier besonders hervorgehoben.

Ein letzter Versuch, aus der Mühle Nutzen zu ziehen wurde in den 1890er Jahren unternommen. Andeer hatte schon seit Jahren einen guten Namen als Luft- und Badekurort. Auch Passanten hielten gerne in Andeer an. Die Ansprüche der Gäste waren damals wohl noch bescheidener und es war deshalb sicher kein abwegiger Gedanke, die Mühle als Gasthaus einzurichten. Die schöne, ruhige Lage und angenehme Umgebung waren vorteilhafte Gründe, einen Versuch zu wagen. Die Gebäulichkeiten als solche waren gross, nicht aber für einen Hotelbetrieb eingerichtet. Pläne für einen totalen Umbau, der sFr 50’000 gekostet hätte, wurden ausgearbeitet. Dazu kam es aber nicht, weil wohl das Geld fehlte.

Dies hielt aber Robert Coray, ein Sohn von Maria Coray-Hoessli, der selber Küchenchef war, und eine tüchtige Frau zur Seite hatte, nicht davon ab, die Mühle als Pension zu führen.

Die Mühle mit der Beschriftung als „Pension Beverin“, ca 1900.

Die Mühle erhielt nunmehr offiziell den Namen «Pension Beverin». Für die Ausstattung der Zimmer etc. mussten gewisse Aufwendungen gemacht werden. Die Hotelküche war im Nordtrakt, Parterre links. Die Wasserversorgung war allerdings mangelhaft, da nur der Brunnen im Hof zur Verfügung stand.

Den Gartenanlagen wurde eine gewisse Aufmerksamkeit geschenkt. Längs des Weges nach Runcs wurden Pappeln gepflanzt ebenso spendeten Bäume und Sträucher Schatten im Garten, Bänke und Gartenhäuschen luden zum Verweilen ein.

Dieser Hotelbetrieb dauerte aber nur wenige Jahre und die Gebäude verlotterten mehr und mehr. Versichert gegen Feuer waren die Häuser mit sFr 50’000. Den Gästen soll es aber in der Mühle oder in der Pension recht gut gefallen haben. Es folgt hier ein Gedicht, den ein anonymer Gast voller Lob verfasst hat. Damit soll der erste Teil dieser Abhandlung über die Mühle seinen Abschluss finden.

Gedicht: Zur Erinnerung an die «Pension Beverin» in Andeer.

Es gibt ein Land an Bergen reich
und hat der Täler viele.
An Gletscherglanz erkenn ich’s gleich
An seiner Wälder Kühle,
Das alte, junge Bündnerland
Winkt bis an fernsten Fremdes Strand.

Ich kenn‘ manch schönes Tälchen drin
An Schlössern reich und Hütten,
Wo einst im freien Völker Sinn
Manch Heldenschwert gestritten.
Aus Burgen tönt der Sagenklang
Aus Hütten schallt der Freiheitsdrang.

Ein schönes Tälchen kenn ich auch
Von Wasserfällen, Schluchten
Umschattet, wo noch alter Brauch
Und junges Streben fruchten,
Ein malerisch, romantisch Tal
Begrüsst vom fernen Alphornschall!

Dort ist ein reicher Wiesengrund
Am Bergesfuss gelegen
Darin der Bäum und Blumen bunt
Ein schönes Landhaus hegen.
Wie liegt’s so schön am Rheinesstrand
Im Wald begrenzten Schamsertal.

So oft als müder Wandersmann
Ich in dies Eden ziehe,
Wünsch ich, dass Fried‘ und Freiheit dann
Im Tal und Häusern blühe.
Dann lehn ich sinnend an den Ast
Der Erlen mich, ein Dichtergast.
(R. unbekannt)

Stammbaum der Familie Hoessli

https://www.ragaz.net/genealogy

*) Wie schon erwähnt zu Maria Hoessli. Ihr Ehemann Dr. Heinrich Coray verschwand mit einer jungen Dame in die Vereinigten Staaten von Amerika und liess Maria mit 6 Kindern zurück. Aus erster Ehe oder als Unehelichen hatte dieser Dr. Coray noch einen weiteren Sohn namens Heinrich, der das Buch Garben und Kränze herausgegeben hat. (Eine Kopie ist in der Stube der Mühle im Bücherregal)

  1. Ihren Grabstein aus weissem Marmor habe ich vor etlichen Jahren im Rheinbett gefunden und im Garten in der Mühle beim Flieder aufgestellt. Menga Saxer ist am 19. Feb. 1804 in Splügen geboren, heiratete am 12. Juni 1837 und starb am 17. November 1888. Ihre Eltern waren Peter Saxer und Menga Mengelt.

  2. Vergl. Artikel im romanischen Kalender «Per Mintga Gi» aus dem Jahre 1941.

  3. In Bezug auf die Familie Imthurm wird erzählt, dass diese im 17. Jahrhundert beinahe ausgestorben wäre. Der einzige Stammhalter -ein Säugling- war anscheinend gestorben. Die Mutter widersetzte sich der Einsargung und es stellte sich dann tatsächlich heraus, dass das Kind nur scheintot war.

  4. Beispielsweise arbeiteten Meia und Deti Joos, Schwestern von Grossmutter Tena (Catharina Joos), eine Zeitlang in der Teigwarenfabrik.

  5. Die englische Familie war sehr religiös eingestellt und unterstützte kirchliche Anliegen. Jährlich wurde für die Dorfjugend eine Christbaumfeier im Raum neben dem Heustall veranstaltet und allerhand kleine Geschenke und Schleckereien verteilt.

    Als wenig schicklich und herkömmlich wurde hingegen die Sitte der Töchter angesehen, die auch im strengen Winter mit kurzen Socken herumliefen. Thomas Rickard pflegte seine englischen Zeitungen hoch zu Pferd zu lesen, was auch Kopfschütteln hervorrief. Sein Salär betrug sFr 10000 pro Jahr und wurde als exorbitant angesehen. Als die Gesellschaft wegen Unrentabilität schliessen musste, gab es Stimmen, die die allzu hohe Entlöhnung von Thomas Rickard als Hauptursache des Debakels bezeichneten, was natürlich Unsinn war.

  6. Die Fahrzeit betrug zu meiner Zeit 1 Std und 10 Min. Mitgeteilt von Fr. J. Fravi-Andrea, 1974 in Andeer.

  7. Rädelsführer dürfte Landamann Meuli gewesen sein.

  8. In Andeer war der zur Mühle gehörende Esel und sein etwas einfältiger Betreuer Andris Hoessli recht populär. Er sagte von sich und seinem Grautier: «Jou, igl asen ad igl tgagliajaki (der Name des Esels) essan me duas peals». Anlässlich eines Essens am grossen Tisch mit den vielen Schubladen zog Andris seinen Zinnteller immer weiter gegen den Rand des Tisches hinaus und schliesslich sogar darüber hinaus, sodass die Suppe samt Teller auf dem Boden landete. Zur Rede gestellt, meinte er: «Die Suppe kann nicht sehen, wo sie geht, sie hat ja keine Augen». (Es war eben ein mageres Süppchen ohne Fettaugen). Andris hatte sich auch als Nachtwächter bei der Gemeinde gemeldet, wurde aber nicht erkoren. Oberst Christian Hoessli war zeitlebens mit Andeer verbunden geblieben. Er war ein sehr einfacher Mann. Spielte die Mundharmonika vom Dorfe zur Mühle, sagte vom Hirli, es sei der schönste Berg und half einmal in Uniform mit seinem Säbel einem Bauern seine Kuh von Thusis nach Andeer treiben.

  9. Margreth (Deti) Hoessli war derart unverträglich, dass sie den einzigen Nachbarn, der Familie Grischott, verbot, bei ihrem Brunnen Wasser zu holen! Anderseits kann man nur staunen, dass sie ganz allein in diesem grossen Gebäude hausen konnte und abends erst spät die unbeleuchtete Wegstrecke vom Dorfe zur Mühle unternahm. Sie war furchtlos. Einmal bemerkte sie bei ihrer Rückkehr in der Nacht eine Gestalt wie toll im Garten vor dem Hause herumspringen. Sie fragte die gespensterhafte Erscheinung, was los sei. Die Antwort war «Ich suche Nachtschmetterlinge.» Es handelte sich um einen Kurgast des Hotel Fravi. Eine Zeitlang -bevor wir die Mühle kauften- hatte Dr. Christoff Martin Bandli den Nordflügel gemietet und wohnte dort, wo er auch seine Praxis hatte. Als letzte Bewohnerin der Mühle aus der Familie Hoessli kann wohl die Frau von Robert Coray-Hoessli bezeichnet werden, welche schwer tuberkulos vom Dorfe in die grosse Stube gebracht wurde, wo sie im Nov. 1911 das Zeitliche segnete.